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Rupert Henning

STIMMEN DER AKADEMIE: FESTSCHRIFT ZUM 10. JUBILÄUM

„Die Akademie ist unser gemeinsames Kind“

Rupert Henning im Gespräch mit Oliver Stangl über die Unabhängigkeit der Akademie, kulturelle Identität und die Mär von der eierlegenden Wollmilchsau.

Herr Henning, Sie waren vor einem Jahrzehnt bei der Gründung der Akademie des Österreichischen Films dabei. Wie und warum hat das alles eigentlich begonnen? Als „Verschwörung" von ein paar einzelnen? Oder wurde hier etwas umgesetzt, das schon länger in der Luft lag?

In der Luft liegt bekanntlich vieles, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch wahrnehmbar wird. Das gilt besonders für kulturelle Initiativen. Es braucht immer Menschen, die initiativ werden – und so war es auch in diesem Fall. Die Gründung einer „Akademie des Österreichischen Films“ und die Ausrichtung eines Filmpreises waren durchaus längst fällig, aber es ist zunächst einmal dem persönlichen Engagement Josef Aichholzers zu verdanken, dass konkret etwas weiterging und dass den Worten auch Taten folgten.

Während der zweiten Hälfte des Jahres 2008 trafen sich auf Josefs Einladung hin einige Proponentinnen und Proponenten (Maria Anna Kollmann, Eva Spreitzhofer, Kurt Mayer, Kurt Brazda, Martin Ambrosch und ich) und haben sozusagen Tacheles geredet, haben Ideen, Pläne und Vorgangsweisen erörtert, weitere Kontakte geknüpft, Vereinsstatuten entworfen und die ganze Sache ins Laufen gebracht. Den ersten Treffen folgten viele weitere – und im darauffolgenden Frühjahr, am 11. März 2009, fand die Gründungsversammlung der „Akademie“ statt. Ein Vorstand wurde gewählt, eine Geschäftsführung gesucht und betraut, ein Büro bezogen – alles so, wie es sein soll. Wir haben Konzepte entwickelt, Gespräche mit Politikerinnen und Politikern geführt, Sponsor- und Fördergeld aufgestellt, Mitglieder- und Branchentreffen organisiert, die Mitgliedschaft bei den Europäischen Filmakademien betrieben und vor allem viel Zeit, Arbeit und Energie in die Organisation des ersten Filmpreises investiert.

Als „Verschwörung“ würde ich das nicht bezeichnen. Eine solche ist nach gängiger Definition immerhin die Verabredung einiger Personen zu einer gemeinsamen Übeltat oder einer Intrige. Das war die Gründung der „Akademie des Österreichischen Films" definitiv nicht, wie ich inständig hoffe. Das Ziel war vielmehr, für die österreichische Filmbranche eine Stärkung nach innen zu bewirken, eine Steigerung des Zusammengehörigkeitsgefühls – und das alles verbunden mit einer größtmöglichen Außenwirkung. Wir haben uns an bewährten ausländischen Beispielen orientiert und von Beginn an großen Wert darauf gelegt, dass die „Akademie" möglichst unabhängig agiert.

Ende Jänner 2020 feiert der Österreichische Filmpreis sein 10. Jubiläum – kann man von einer Erfolgsgeschichte oder einer Selbstverständlichkeit sprechen?

Selbstverständlich ist gar nichts – weder das Jubiläum, noch der Erfolg, von dem man, wie ich finde, schon sprechen kann. Immerhin gibt's die „Akademie“ nach zehn Jahren noch – und sie verändert sich, sie ist lebendig und ruht sich nicht auf irgendwelchen Lorbeeren (auf tatsächlichen oder auf eingebildeten) aus. Das ist schon was. Eine Erfolgsgeschichte ist es aber aus meiner Sicht letztlich nur dann, wenn die Geschichte fortgeschrieben, adaptiert, in Teilen auch komplett neu geschrieben wird. Dazu braucht es engagierte Menschen, die sich ihr widmen. Wenn diese Menschen es zuwege bringen, dass man im Großen und Ganzen die „Akademie“ als unverzichtbaren Bestandteil des österreichischen Kulturlebens betrachtet, wenn es also quasi eine Selbstverständlichkeit wird, sie zu unterstützen, dann wurde wirklich was erreicht.

Was ist die Akademie für Sie persönlich? Ort der Kommunikation, Interessensvertretung, Werkzeug zur Feier der Filmkunst oder etwas gänzlich anderes?

Für mich persönlich war die „Akademie" – genauer gesagt die Arbeit für selbige – in den ersten Jahren zunächst einmal eine besonders lehrreiche, vielschichtige und in zahlreichen Aspekten beglückende Erfahrung. Abgesehen davon war sie eine kulturelle Unternehmung, die mich seit ihren Anfängen mit etwas erfüllt hat, das als Begriff bisweilen einen leicht schalen Beigeschmack hat, weil es leider oft falsch sein kann und weil es auch häufig falsch verwendet und missbraucht wird: Stolz. Diese Empfindung ist ja grundsätzlich was Gutes und Schönes, sie wird einem nur hin und wieder vermiest – und zwar durch manche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die sich am Jahrmarkt der Eitelkeiten möglichst lautstark in die Welt hinausposaunen oder den Begriff hurrapatriotisch missbrauchen. Die „Akademie des Österreichischen Films“ ist vor allem das, was die Akademiemitglieder aus ihr machen – und solange sie das heimische Filmschaffen befördert, ist sie ein Teil der kulturellen Identität und der Wirklichkeit dieses Landes.

Wie hat sich der österreichische Film, die österreichische Filmszene in diesen zehn Jahren verändert?

Das ist eine Frage, deren tiefergehende Beantwortung aus meiner Sicht den Rahmen dieses Gesprächs zweifellos ziemlich bald sprengen würde. Die Filmszene verändert sich ja ständig – und das ist natürlich auch gut so. Bekanntlich ist Veränderung die einzige Konstante im Leben – das gilt auch für das Leben einer Akademie.

Aus dem griechischen Wort für Bewegung – „Kinema" – entstand der Begriff „Kino". Bewegte und bewegende Bilder – Film ist demgemäß immer Bewegung. Die „Akademie des Österreichischen Films" versucht, diesem Umstand Rechnung zu tragen – und sie tut gut daran. Vielleicht schafft sie es auch, immer wieder einen Teil dazu beizutragen, dass österreichische Filme verstärkt als Mittel zur Selbst- wie auch zur Fremdwahrnehmung wahrgenommen werden, dass man sie nachhaltig(er) fördert, dass wieder mehr Menschen gemeinsame Lebenszeit und gemeinsame Erlebnisse im Kino teilen und dass ein echter, spürbarer Austausch stattfindet: zwischen den Leuten, die Filme machen – und jenen, die sich diese Filme ansehen.

Was hat die Akademie des Österreichischen Films, was hat der Österreichische Filmpreis bewirkt? Und was vielleicht nicht? Wo muss man noch ansetzen, was fehlt?

Ein paar Menschen waren nach den Verleihungen glücklicher als vorher, weil sie einen – noch dazu von VALIE EXPORT gestalteten, äußerst feschen – Preis in Händen hielten. Ein paar andere waren nicht glücklicher. Das gehört dazu. Wenn man das nicht haben will, darf man keine Preise verleihen. Einige Menschen außerhalb der Filmbranche haben über den Filmpreis was gelesen, haben davon gehört oder etwas im ORF gesehen und sind danach vielleicht ins Kino gegangen. Andere wiederum nicht.

Man kann manches in Zahlen messen, manches nicht.

Ich finde, die Ausrichtung eines „Österreichischen Filmpreises“ muss einfach sein. Man kann und soll darüber streiten, in welcher Weise und in welchem Rahmen dieser Preis verliehen wird – das halte ich für hilfreich, solange konstruktiv gestritten wird. Aber eine möglichst repräsentative Veranstaltung wie diese zu organisieren, sollte quasi obligatorisch zum Kulturleben Österreichs dazugehören. Wir haben das schon in unseren ersten Konzepten formuliert und dazu stehe ich nach wie vor: „Der Filmpreis stärkt den Zusammenhalt und befördert zugleich auch den Wettbewerb.“ Ich mag diese Dialektik. Man kann freilich immer versuchen, ein noch größeres Publikum zu erreichen – das hätte der Filmpreis verdient, weil es das österreichische Filmschaffen verdient hat.

Was bedeuten Ihnen Preise persönlich? Und was können diese für die heimischen Filmschaffenden bzw. Branchen bedeuten?

Preise sind nicht gleich Preise. Es kommt darauf an, wie und von wem und nach welchen Modalitäten und Kriterien sie verliehen werden. Ich persönlich halte einen Preis für bedeutend, der mittels des Votums einer Gruppe von Fachleuten verliehen wird – wie im Falle der „Akademie des Österreichischen Films". Ich halte aber natürlich auch Publikumspreise für bedeutend – sie spiegeln schließlich eine andere Wahrnehmung künstlerischer Arbeit wider.

Kunst ist nicht Leichtathletik – insofern sollte man auch bei starkem Preisregenwetter nicht gleich den Verstand verlieren. Aber ein Echo ist freilich immer schön, wenn man sozusagen was in die Welt hinausruft. Und wenn es auch noch ein positives Echo ist, dann darf man sich schon freuen, dann darf man ermutigt und bestärkt sein. In diesem Sinne kann eine Auszeichnung wie der „Österreichische Filmpreis“ von sehr großer Bedeutung für einzelne Künstlerinnen und Künstler sein.

Sie haben die ersten drei Galas inszeniert – bei der ersten gab es auf der Bühne keinerlei Showprogramm und am Büffet Knackwürste. Wie haben sich die Galas mit der Zeit verändert?

Der Abend im „Odeon" war besonders schön und bewegend – nicht zuletzt, weil es die erste heimische Filmpreisgala dieser Art war und weil viele Menschen einigermaßen verblüfft schienen, dass sie überhaupt zustande kam. Offenbar hatten nicht viele der Sache getraut – und waren dann positiv überrascht, weil es kurz und bündig und alles in allem einfach nicht peinlich war, wie mir viele Anwesende in einem Zustand fast schon verzückter Erschütterung versicherten. Ich finde, das sagt viel über dieses Land und seine Veranstaltungen aus, aber ich wollte das Thema schon damals nicht wirklich vertiefen.

Im Ernst, man muss ja gar nicht über Gebühr nostalgisch sein – das war eben die Premiere und wir haben uns nicht wirklich blamiert, das hat schon genügt, um darauf aufzubauen. Die Galas haben sich seitdem verändert, gewandelt, erweitert – man soll sich selbst ein Bild davon machen, indem man hingeht und dabei ist. Und wenn man eine Meinung dazu hat und vielleicht sogar Ideen, wie es anders oder womöglich besser gehen könnte, dann kann man sich als Mitglied ja einbringen. Ich verstehe zwar, dass es manchmal viel leichter fällt, an der Seitenlinie zu stehen, Kommentare abzugeben und sich danach zu trollen, ohne Verantwortung zu übernehmen – aber sonderlich sportlich oder elegant oder hilfreich ist das freilich nicht.

Eine Gala muss verschiedene Aspekte abdecken: Feier der Filmkunst, individuelle Ehrungen, Unterhaltungssegmente – und wenn es sich ausgeht, sollen auch noch politische Themen angesprochen werden. Wie bringt man das alles unter einen Hut?

Am besten versucht man es erst gar nicht. Die eierlegende Wollmilchsau ist immer noch eine Mär, jedenfalls hab ich persönlich noch kein Exemplar davon irgendwo gesichtet. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich Gestalterinnen und Gestalter der Gala auf einen oder zwei Aspekte konzentrieren und andere Aspekte weniger betonen. Solange sie nicht behaupten, die ultimative Wahrheit gepachtet zu haben, solange auch andere irgendwann zum Zug kommen und es eine Fluktuation bei den kritischen, kreativen Geistern gibt, solange konstruktive Entscheidungen getroffen werden und ab und zu der vielzitierte frische Wind durch die „Akademie" weht und das ebenfalls vielzitierte frische Blut reinkommt, mache ich mir wenig Sorgen um den Verein.

Ich bin, ich gebe es zu, bei solchen Veranstaltungen ein großer Freund von Kürze und Schlichtheit. Aber das ist lediglich meine persönliche Haltung.

Was ich definitiv nicht gut finde, ist eine parteipolitische Instrumentalisierung der „Akademie", eine Ausnützung ihrer Ressourcen und ihres Renommees für partikulare Interessen oder die Benützung ihrer Plattformen für ausufernde Selbstinszenierungen. Aber das versteht sich ja praktisch von selbst.

Was war Ihnen bei der Inszenierung der Galas besonders wichtig? Gibt es Ereignisse, Anekdoten, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Ich hab darauf geachtet, die Veranstaltung stets möglichst puristisch und unprätentiös zu gestalten. Das war die Herangehensweise, auf die wir uns damals innerhalb des Vorstands geeinigt hatten – es ging uns darum, die Balance zwischen Selbstbewusstsein und Bescheidenheit zu finden. Ob es uns gelungen ist, müssen andere beurteilen. Man kann es natürlich nie allen recht machen, es kann auch nicht allen gefallen – und ich finde es absolut nachvollziehbar und angemessen, dass der Stil der Veranstaltung sich gelegentlich wandelt, dass Erfahrungen evaluiert werden, dass man gegebenenfalls Neues ausprobiert. So soll es sein: wenn ein Mitglied innerhalb der „Akademie“ die diversen Aktivitäten mitgestalten will, dann gibt es dazu ja die Möglichkeit.

An eine Begebenheit erinnere ich mich besonders gerne. Kurz vor der ersten Gala, die ich 2011 im „Odeon“ moderieren durfte, stand ich mit Barbara Albert und Karl Markovics hinter der Bühne beisammen und Karl hat mir plötzlich zugenickt und gesagt: „Du wirst das Kind schon schaukeln." Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Viel was anderes soll man mit Kindern in dem Alter ja auch nicht tun.“ Barbara hat daraufhin gegrinst und ebenfalls genickt. Ich fand das höchstgradig ermutigend – und außerdem ziemlich witzig. Bei meiner Rede anschließend hab ich die Kind-Metapher dann gleich entsprechend zur Anwendung gebracht. Die „Akademie des österreichischen Films“ ist gewissermaßen ein (geistiges) Kind, das einige Mütter und Väter hat. Das hat mir damals, so seltsam sich das vielleicht auch anhört, am meisten Freude bereitet: dass es ein gemeinsamer Zeugungsakt war, dass niemand sich besonders in den Vordergrund gedrängt hat. Ich hab das dann bei der ersten Gala genau mit diesen Worten gesagt: Das ist unser gemeinsames Kind, das zunächst nur eine vage Idee war. Und Kinder sind – dem klugen Neil Postman zufolge – die lebenden Botschaften, die wir einer Zeit übermitteln, an der wir selbst irgendwann nicht mehr teilhaben werden.

Rupert Henning ist Schauspieler, Autor, Regisseur und Gründungsmitglied der Akademie des Österreichischen Films. Die ersten drei Preisverleihungen wurden von ihm inszeniert.